Tokenismus, Alibi-Vielfalt oder Feigenblattpolitik
Kennen Sie Sätzen wie „Wir haben eine schwarze Person in der Firma“ oder „In der Führungsebene in unserem Konzern ist eine Frau“? Solche Sätze beinhalten Tokenismus.
Mit solchen Sätzen rühmen sich Unternehmen und möchten damit nach außen kommunizieren, dass es keinerlei Probleme mit Gender, Rassismus oder Gleichberechtigung gibt.
Die eine Person – der*die Schwarze, die Frau – nimmt, oft ungefragt, exemplarisch die Position für die jeweilige marginalisierte Gruppe ein.
Diese symbolische Positionierung wird als Tokenismus bezeichnet.
Als Token, etwa in der Rolle der Quotenfrau oder des Alibimigranten, verschleiert diese Person die in seiner Organisation fortwirkenden Diskriminierungsmechanismen.
In seiner Funktion als Organisationsmitglied besetzt der Token mitunter strategisch wichtige Positionen, in die nun mutmaßlich kein anderer – eventuell kritischer gestimmter – Minderheitenvertreter mehr gelangen kann.
In den 1970er-Jahren wurde der Begriff „Tokenismus“ von der US-amerikanischen Soziologin Rosabeth Moss Kanter geprägt. Damals haben wissenschaftliche Studien gezeigt, dass Unternehmen in klassischen Männerbranchen gezielt einzelne Frauen einstellen, um sich gegen den Vorwurf zu wappnen, Frauen hätten bei ihnen keine Chance oder es würde ein frauenfeindliches Klima in der Firma herrschen. Die eingestellten Frauen waren also vor allem aus Imagegründen im Unternehmen, nicht etwa wegen ihrer Fähigkeiten. Nach außen verkauften sich die Unternehmen als vielfältig und geschlechtergerecht, nach innen blieben die Strukturen aber weitestgehend beim Alten.
Die Praktiken des Tokenismus oder einer Feigenblattpolitik zielen nicht auf die grundsätzliche soziopolitische Gleichstellung entsprechend benachteiligter Gruppen, sondern dienen vielmehr dazu, Diskriminierungsmechanismen aufrechtzuerhalten, indem diese verschleiert werden.
Mittels bewusst kalkulierter Einzelmaßnahmen wird nach außen hin der Eindruck von „Fairness“ und „Chancengleichheit“ erweckt. Mitunter beschränken sich solche Schritte auch einzig auf die Umsetzung der Mindestvorgaben in Antidiskriminierungsgesetzen.
Warum Alibi-Vielfalt ein Problem ist?
Manche mögen denken, dass die angestrebte Vielfalt auf diesem Wege erreicht werden könne, denn das System ließe sich doch von innen heraus verändern.
Doch genau das ist nicht möglich, eben weil die Personen nur Symbolfiguren ohne echte Chancen sind. Von Gleichheit kann keine Rede sein, Aufstiegschancen gibt es ebenso wenig wie eine wirkliche Anerkennung von Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Reduzierung auf eine Rolle: Im Kontext des Tokenismus werden Personen oft auf eine bestimmte Rolle oder Eigenschaft reduziert, die ihrer Gruppenzugehörigkeit entspricht. Dies führt dazu, dass sie nicht als individuelle Persönlichkeiten wahrgenommen werden, sondern nur als Repräsentanten ihrer Gruppe.
Fehlende Anerkennung der Vielfalt: Tokenismus führt dazu, dass die tatsächliche Vielfalt innerhalb einer Gruppe nicht erkannt oder gewürdigt wird. Menschen sind vielschichtig und haben unterschiedliche Interessen, Talente und Persönlichkeiten, die oft über ihre Gruppenzugehörigkeit hinausgehen.
Beschränkte Aufstiegschancen: Personen, die als Tokens fungieren, haben oft begrenzte Möglichkeiten für beruflichen Aufstieg oder für die Entwicklung ihrer Fähigkeiten, da sie nicht in Schlüsselpositionen gelangen oder ernsthaft gefördert werden.
Fehlende Einbeziehung: Trotz ihrer scheinbaren Einbeziehung werden tokenisierte Personen oft nicht aktiv in Entscheidungsprozesse oder wichtige Diskussionen einbezogen. Sie werden lediglich als Alibis verwendet, um Vielfalt vorzutäuschen.
Verkehrte Absichten: Obwohl Tokenismus den Anschein von Vielfalt erweckt, können die dahinterliegenden Absichten verkehrt sein. Organisationen können Vielfalt nur aus PR-Gründen fördern, ohne tatsächliche strukturelle Veränderungen anzustreben.
Verlust der Individualität: Die betroffenen Personen verlieren oft ihre Individualität und werden auf ihre Gruppenzugehörigkeit reduziert. Dies kann dazu führen, dass sie sich unwohl oder frustriert fühlen.
Wie wirkt Tokenismus?
Kanter unterscheidet zwischen drei Wirkungstendenzen.
Erhöhte Sichtbarkeit – „Tokens“ werden aufgrund ihres Token-Status ins „Rampenlicht“ gerückt. Ihre Arbeit wird dadurch besonders gewertet oder kritisiert. Das kann zu einem erhöhten Leistungsdruck führen.
Hervorheben und Verfestigen von Unterschieden (Polarisierung) – Die Gemeinsamkeiten einer zahlenmäßig dominanten Gruppe untereinander werden betont, während die Unterschiede zur Person mit Token-Status hervorgehoben werden.
Der Person mit Token-Status bleiben in dieser Situation zwei Möglichkeiten: Entweder sie akzeptiert ihre Außenseiterrolle oder sie versucht Zugang zur dominanten Gruppe zu bekommen. Allerdings geschieht dies oft durch einseitige Anpassung und auf Kosten der Solidarität mit der eigenen „Gruppe“. Aus diesem Grund wird der Begriff „Token“ manchmal als Vorwurf und als Kritik an die betroffene Person verwendet.
Angleichung und Anpassung (Assimilation) – Menschen mit Token-Status können sich dem Bild, das die dominante Gruppe beispielsweise in Form von Stereotypen oder Vorurteilen von ihnen hat, meist nicht entziehen. Ihnen bleibt nur wenig Handlungsspielraum, beispielsweise können sie sich an die Vorstellungen und Erwartungen der dominanten Gruppe anpassen oder aus ihnen ausbrechen und ihren Sonderstatus behalten.
Menschen mit Token-Status sind oftmals auf Grund der zuvor beschriebenen Wirkungsweisen isoliert.
Eine Praktik des Tokenismus kann ebenfalls sein, dass Tokens beispielsweise innerhalb einer Organisation bewusst voneinander isoliert werden, um einen Erfahrungsaustausch zwischen ihnen zu vermeiden.
Unternehmensschulungen zu Diversität
Um Tokenismus im eigenen Unternehmen zu verhindern, sollten ausgewählte Diversitäts- und Inklusionsprogramme implementiert werden, die darauf abzielen, echte Chancengleichheit und Vielfalt zu fördern. Solche Workshops bietet Be Cosmopolite an.