Gender Bias und Diversity im Recruiting

Wie können Unternehmen gezielt und erfolgreich hoch qualifizierte Frauen ansprechen und für das Unternehmen gewinnen? Ein Lösungsansatz liegt in der Anpassung von Rekrutierungsstrategien. Rekrutierungspersonal, Personaler und Führungskräfte brauchen Wissen über die Geschlechterunterschiede. Gender Bias und Diversity spielen im Recruiting eine große Rolle.

Weiterhin stellt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz die betroffenen Unternehmen vor die Herausforderung, einen kreativen Weg zu finden, qualifizierte weibliche Fachkräfte anzusprechen, ohne gegen die Richtlinien des AGG zu verstoßen.

Hier 6 Tipps für eine diverse Rekrutierungsstrategie.

1. Beide Geschlechter im Stelleninserat ansprechen

Wenn wir Bezug nehmen auf die Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. (GfdS), ist das gar nicht so einfach. Schon in den 1970er Jahren formierte sich eine Bewegung, die die männerzentrierte Sprachverwendung kritisierte und verlangte, dass auch Frauen sprachlich sichtbar gemacht werden. Ihr Leitgedanke: „Sprache [bestimmt] das Denken und auch das Bewusstsein der Menschen […]; Sprache spiegelt nicht nur Realität, sie schafft auch Realität.“ (Eichhoff-Cyrus 2004: 7). Mehr können Sie im meinem Blog hier lesen.

Im Sinne der Gleichberechtigung sollten Unternehmen bereits im Stellentitel darauf achten, diesen geschlechtsneutral zu verfassen und auch im gesamten Text des Stelleninserates sowohl die weibliche als auch die männliche Form zu berücksichtigen bzw. geschlechtsneutrale Ausdrücke wie StudierendeLernende oder Mitarbeitende zu verwenden.

2. Auf maskuline/feminine Gender Codes achten

Das Leseverhalten von Frauen unterscheidet sich von jenen von Männern – auch bei Stelleninseraten. Die Eye-Tracking Studie von jobware.de (2012) hat das Leseverhalten von Frauen und Männern bei Online-Stellanzeigen analysiert und dabei festgestellt, dass die gewählten Formulierungen und die Wortwahl einen Einfluss darauf nehmen, ob sich mehr Männer oder Frauen bewerben. Während Männer etwa mehr Zeit damit verbringen, sich das Unternehmensprofil anzusehen, schauen Frauen viel genauer auf das Anforderungsprofil und die Qualifikationen.

Gemäß der Untersuchung führten gewisse Stellenbezeichnungen (z. B. „Senior- Manager“) oder Anforderungen (z. B. „Kommunikationsfähigkeit“) dazu, dass Stellenanzeigen als eher weiblich oder eher männlich empfunden wurden.

Männliche Studienteilnehmer ließen sich in ihrem Bewerberverhalten nicht von der Formulierung der Anzeige beeinflussen, Studienteilnehmerinnen hingegen bewarben sich eher auf „weibliche“ oder „neutral“ formulierte Anzeigen.

Gender Codes werden geschlechterspezifisch unterschiedlich aufgefasst. Diese Beobachtung untermauern ebenfalls Studien aus Kanada und den Niederlanden. Diese belegen, dass Gender Codes einen nachhaltigen Einfluss auf das Bewerberverhalten haben (Born und Taris 2010; Gaucher et al. 2011).

Männer bewerten sich selbst als agentischer (beispielsweise als energischer, selbstsicherer, entscheidungsfreudiger, dominanter, durchsetzungsfähiger oder bestimmender) und Frauen bewerten sich selbst als kommunaler (beispielsweise als kommunikativer, emotionaler, verständnisvoller, verantwortungsbewusster, freundlicher oder aufrichtiger) im Vergleich zum anderen Geschlecht. Dies hat auch Auswirkungen darauf, was Männer und Frauen bei einer Position suchen und wovon sie sich in Stellenanzeigen angesprochen fühlen.

Studien der TU München zeigen, dass insbesondere Stellenanzeigen für Führungspositionen viele agentische Begriffe enthalten. Frauen bewerben sich allerdings eher für Karrieremöglichkeiten, wenn diese viele kommunale Begriffe wie kommunikationsfreudig, teamorientiert, verantwortungsbewusst usw. enthalten.

Der Grund dafür ist nicht etwa, dass sie sich Stellen, die mit agentischen Worten ausgeschrieben werden, nicht zutrauen. Der Grund ist eher, dass sie sich zu Stellen, die mit kommunalen Worten ausgeschrieben werden, mehr zugehörig fühlen, also eine größere Passung zu diesem Unternehmen wahrnehmen.

3. Qualifikationsprofile in Form von Eigenschaften formulieren

Die Ergebnisse der oberen Befragung zeigen, dass sich weibliche von männlichen Befragten hinsichtlich der Bewertung des Anforderungsprofils unterschieden. Während die Mehrzahl der Männer ihre eigenen Fähigkeiten mit Blick auf die Anforderungsprofile als angemessen empfand, sahen die meisten Frauen eher eine Übereinstimmung mit den feminin formulierten Fähigkeiten.

Ein Grund könnte darin liegen, dass Frauen sich intensiver mit Anforderungsprofilen beschäftigen, als es Männer tun. Während männliche Bewerber die Anforderungen an einen idealen Kandidaten oftmals nur flüchtig lesen und ihre eigenen Fähigkeiten tendenziell überschätzen, vergleicht eine Mehrzahl von Frauen diese Anforderungen mit dem eigenen Qualifikationsniveau kritisch und entscheidet sich somit zögerlicher für eine Bewerbung als die Männer (Jobware 2014).

Frauen fühlen sich eher von Qualifikationsprofilen angesprochen, die als Eigenschaften dargestellt werden. Profile, die als Verhaltensweisen formuliert werden, verneinen weibliche Bewerber eher.

Qualifikationsprofil in Form von Eigenschaften (feminin):Qualifikationsprofil in Form von Verhaltensweisen (maskulin):
Kreativität  Neue Ideen und Problemlösungen entwickeln  
EntschlossenheitWichtige Entscheidungen treffen
Eigenschaften vs. Verhaltensweisen

4. Auf versteckte Benachteiligungen von Frauen durch Algorithmen achten

Algorithmen, die aus „Big Data“ generiert werden, sind nicht fair und vorurteilsfrei, weil die Menschen, die sie programmieren, nicht zu 100 Prozent fair sein können. Niemand kann das.

Algorithmen sind daher extrem anfällig für die Übernahme stereotyper und vorurteilsbehafteter Verhaltensweisen und Beurteilungen. Veröffentlichte Studien in den USA sagen voraus, dass mehr als 80% der Unternehmen in weniger als fünf Jahren Künstliche Intelligenz zur Leistungsbeurteilung nutzen und beim Personal Recruiting einsetzen werden.

Vicente Ordóñez, Informatikprofessor an der University of Virginia (Artikel) , stellte vor einiger Zeit fest, dass Künstliche Intelligenzen einen signifikanten genderbezogenen Verzerrungseffekt zeigten, der durch Machine-Learning-Algorithmen sogar noch verstärkt wurde. Bestimmte Bilder wurden jeweils einem Geschlecht zugeordnet.

5. Männer und Frauen stellen ihre Leistungen unterschiedlich dar

Ernesto Reuben, Paola Sapienza and Luigi Zingales von der Universität Washington haben untersucht, wie Stereotype die Karriere von Frauen in der Wissenschaft beeinträchtigen. In ihren Studien stellten sie fest, dass Männer und Frauen ihre Fähigkeiten und Leistungen unterschiedlich darstellen.

Wenn Recruiter daher nicht lernen, zwischen den Zeilen beispielsweise einer Bewerbung zu lesen, könnten sie Frauen zugunsten gleich qualifizierter Männer benachteiligen. Warum? Weil Männer dazu neigen, ihre Fähigkeiten über zu bewerten und bei der Darstellung ihrer Leistungen zu Übertreibungen neigen, während Frauen eher geneigt sind, ihre Fähigkeiten und Leistungen unter zu bewerten.

Ausgehend von den Bewerbungsunterlagen beispielsweise kann daher ein männlicher Kandidat qualifizierter erscheinen als ein weiblicher Kandidat, wenn in Wirklichkeit die Frau für den Job gleich oder besser qualifiziert ist.

Die Forscher empfehlen, dass sich Recruiter daher nicht nur auf das verlassen sollten, was ihnen Jobsuchende sagen. Stattdessen sollten sie die Referenzen der Kandidaten verfolgen und kritisch überprüfen, ob sie in ihren Auswahlprozessen objektive, kompetenzbasierte Bewertungen und Beurteilungen anwenden, um qualifizierte Kandidaten zu identifizieren.

6. Die Unternehmenskultur entwickeln und Gender Bias abbauen

Auch wenn im Stelleninserat bewusst auf Frauen eingegangen wird und «männliche» Formulierungen vermieden wird, so nützt dies nichts, wenn die Diversity-Kultur im Unternehmen nicht auch gelebt wird und nach wie vor Vorurteile und Gender Bias gegenwärtig sind.

Stellen Sie also im Rahmen eines ehrlichen Employer Branding die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsumfeld so dar, wie es wirklich ist und bleiben Sie authentisch.

Was jedoch noch wichtiger ist: Sorgen Sie auch dafür, dass Vorurteile gegenüber Frauen in Ihrem Unternehmen keinen Platz finden und eine Kultur gelebt wird, in der Menschen beider Geschlechter, jeder sexuellen Orientierung, jeder Religion und jeder Herkunft mit Respekt behandelt werden.

Wie das geht, erfahren Sie in unseren Unconscious Bias Workshops.